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Software
Entwicklung
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Sinan Kayaalp @SYNERKI
23. Juni 2025
"Unsere Software kann das leider nicht." – ein Satz, der in wachsenden Unternehmen immer häufiger fällt. Während Standardsoftware in der Anfangsphase eines Unternehmens oft die richtige Wahl ist, werden ihre Grenzen mit zunehmender Spezialisierung und Marktreife immer deutlicher spürbar. Excel-Tabellen neben dem offiziellen System, umständliche Workarounds und wachsende Frustration sind die ersten Anzeichen einer fundamentalen Diskrepanz zwischen Geschäftsanforderungen und Softwaremöglichkeiten.

In diesem Artikel erfährst Du, wann der richtige Zeitpunkt für den Umstieg auf individuelle Softwarelösungen gekommen ist, welche Optionen – von Eigenentwicklung bis Citizen Development – Dir zur Verfügung stehen und wie Du typische Fallstricke bei der Implementierung vermeidest.
_ DAS WICHTIGSTE IN KÜRZE
Warnsignale für unzureichende Software: Schatten-IT, steigende Supportanfragen, Prozess-Workarounds
Langfristige Kostenbetrachtung statt Fokus auf niedrige Initialkosten
Hybride Strategien kombinieren interne Entwicklung mit externen Lösungsansätzen
Citizen Developer mit Low-Code-Plattformen überbrücken die Kluft zwischen IT und Fachabteilungen
Erfolgreiche Integration vermeidet Systemfragmentierung und Datensilos
1. Wann Standardsoftware zum Problem werden kann
Versteckte Warnsignale entdecken:
Die Anzeichen, dass Standardsoftware nicht mehr ausreicht, sind oft subtil. Wenn Berater eigene Excel-Tabellen oder eigene Datenbanken neben den offiziellen Systemen führen, ist das ein deutliches Warnsignal. Diese sogenannte Schatten-IT entsteht, weil die vorhandenen Standardlösungen die tatsächlichen Anforderungen nicht passgenau abdecken. Dies kann zu wachsender Frustration von Beratern und Kollegen führen. Wenn immer mehr Zeit für Workarounds aufgewendet wird, hat Deine Standardsoftware wahrscheinlich ihre Grenzen erreicht. Ebenfalls Aussagen über Unzufriedenheiten in bestehenden Systemen oder eine steigende Anzahl von Supportanfragen sowie Wünschen nach individuellen Features sollten ein eindeutiger Indikator sein.
Wirtschaftliche Nachteile:
Die finanziellen Auswirkungen unzureichender Software sind vielschichtig. Am offensichtlichsten sind die versteckten Produktivitätsverluste: Berater verbringen einen beträchtlichen Teil ihrer Arbeitszeit mit ineffizienten Prozessen und Workarounds. Diese verlorene Arbeitszeit schlägt sich direkt auf die Personalkosten nieder. Gleichzeitig steigen die direkten Softwarekosten mit dem Unternehmenswachstum oft überproportional. Viele Anbieter von Standardsoftware nutzen Preismodelle, die bei Überschreiten bestimmter Schwellen zu spürbaren Kostensprüngen führen können. Nicht zu unterschätzen sind zudem die entgangenen Geschäftschancen: Wenn Deine Software die Einführung neuer Produkte oder Dienstleistungen verzögert oder verhindert, kostet das nicht nur unmittelbaren Umsatz, sondern kann langfristig Marktanteile kosten, die später nur schwer zurückzugewinnen sind.
Strategische Risiken:
Auf strategischer Ebene erzeugt die Abhängigkeit von Standardsoftware mehrere grundlegende Risiken. Du bist an die Entwicklungs-Roadmap des Anbieters gebunden – Funktionen, die für Dein Unternehmen kritisch sind, haben möglicherweise keine Priorität beim Anbieter. Ein weiteres Risiko betrifft das geistige Eigentum: Deine Geschäftsprozesse sind in der Software abgebildet, aber das Intellectual Property bleibt beim Anbieter. Dies kann einen erheblichen Wettbewerbsnachteil mit sich bringen. Das Klumpenrisiko gilt ebenfalls als potenzielles Risiko: Wenn Dein Kerngeschäft von einer einzigen Standardlösung abhängt, können Probleme beim Anbieter existenzbedrohend oder sehr ressourcenintensiv werden.
2. Make or Buy: Inhouse vs. externe Entwicklung
Kostenvergleich langfristig betrachten:
Bei der Entscheidung zwischen Standardsoftware und individueller Entwicklung ist ein ganzheitlicher Kostenvergleich unerlässlich. Die Anschaffungskosten für Standardlösungen erscheinen zunächst attraktiv – niedrigere Initialkosten, schnellere Implementierung und scheinbar kalkulierbare laufende Kosten sprechen für diesen Weg.

Doch diese Betrachtung greift zu kurz. Die wahren Kosten offenbaren sich erst in einer langfristigen Perspektive. Während Standardsoftware kontinuierliche Lizenzkosten verursacht, die mit dem Unternehmenswachstum steigen, fällt bei eigenen Lösungen nach der Initialinvestition vor allem der Wartungsaufwand ins Gewicht.

Entscheidend ist jedoch die Passgenauigkeit zum Geschäftsprozess: Je mehr Anpassungen eine Standardlösung benötigt oder je mehr Workarounds Mitarbeiter entwickeln müssen, desto ungünstiger wird die Kostenbilanz. Ab einem gewissen Grad an Individualisierungsbedarf kippt die Gleichung zugunsten maßgeschneiderter Lösungen.
Ressourcen und Know-how:
Der Aufbau eines eigenen Entwicklungsteams stellt viele Unternehmen vor Herausforderungen. Die Rekrutierung qualifizierter Entwickler ist in Zeiten des Fachkräftemangels schwierig und teuer. Neben der reinen Entwicklung benötigst Du auch Expertise in Bereichen wie UX-Design, Qualitätssicherung und DevOps. Die Unterschätzung dieser Rollen führt häufig zu technisch funktionierenden, aber praktisch schwer nutzbaren Lösungen. Ein bedeutender Vorteil interner Teams ist jedoch das tiefe Verständnis der eigenen Geschäftsprozesse, was zu passenderen Lösungen führen kann.
Der goldene Mittelweg: Hybride Modelle:
Die erfolgreichsten Beraterteams setzen auf hybride Ansätze. Konzentriere interne Ressourcen auf strategisch wichtige Funktionen, die echte Wettbewerbsvorteile bieten. Standardfunktionen und komplexe Individuallösungen können von spezialisierten Anbietern bezogen werden. Ein bewährter Weg ist, mit externen Partnern zu starten und parallel internes Know-how aufzubauen. Achte dabei auf klare Vereinbarungen zum Wissenstransfer und zu den Eigentumsrechten an den Softwarelösungen.
Du hast individuelle Softwarewünsche?
3. Nachhaltigkeit durch Citizen Developer Kultur erhöhen
Was bedeutet Citizen Developer Kultur:
Citizen Developer Kultur beschreibt den Wandel, bei dem Mitarbeitende außerhalb der IT-Abteilung und ohne klassische Programmierkenntnisse aktiv an der Entwicklung digitaler Lösungen mitwirken. Mit benutzerfreundlichen Tools entwickeln sie Anwendungen, automatisieren Prozesse und steigern Effizienz – ein Ansatz, der Eigenverantwortung fördert und die Digitalisierung im Unternehmen dezentral vorantreibt.
Potenzial von Low-Code/No-Code:
Low-/No-Code Plattformen ermöglichen es Fachabteilungen, eigene Anwendungen ohne tiefe Programmierkenntnisse zu erstellen. Lösungen, die traditionell Monate beanspruchen würden, können in Wochen realisiert werden. Diese Plattformen ermöglichen es, Anwendungen mit minimalen oder gar keinen traditionellen Programmierkenntnissen zu erstellen. Stattdessen werden visuelle Tools, Drag-and-Drop-Funktionen und vorgefertigte Komponenten verwendet. Der größte Vorteil liegt in der direkten Einbindung der späteren Anwender. Da sie ihre Anforderungen selbst umsetzen, entstehen passgenaue Lösungen ohne die typischen Kommunikationsprobleme zwischen IT und Fachbereich.
Innovationskultur im Unternehmen fördern:
Der Erfolg von Citizen Development hängt maßgeblich von der Unternehmenskultur ab. Schaffe Schulungsprogramme für alle interessierten Mitarbeiter und etabliere Anreizsysteme, die zur Entwicklung eigener Lösungen motivieren. Besonders wichtig ist eine gesunde Fehlerkultur, die Experimente fördert und Misserfolge als Lernchance begreift. Ohne diese werden Mitarbeiter keine innovativen Lösungen entwickeln.
Governance & Qualitätssicherung:
Klare Strukturen sind unabdingbar für die nachhaltige Einführung und Entwicklung von individuellen Softwarelösungen im eigenen Haus. Etabliere Richtlinien, welche Arten von Anwendungen für Citizen Development geeignet sind und welche der professionellen Entwicklung vorbehalten bleiben sollten. Inhouse-Arbeitsgruppen spielen hier eine zentrale Rolle: Diese funktionalen Teams aus IT-Experten und Fachabteilungsvertretern überprüfen neue Anwendungen, teilen Best Practices, unterstützen bei der Weiterentwicklung vielversprechender Lösungen und fördern somit eine zeitgemäße Unternehmenskultur.
4. Fehler bei der Integration in die bestehende Systemlandschaft
Fragmentierung genutzter Systeme:
• Zu viele verschiedene Benutzeroberflächen für unterschiedliche Funktionen schaffen Verwirrung
• Mitarbeiter müssen sich in multiple Systeme einloggen und zwischen diesen wechseln
• Produktivitätsverluste durch ständige Kontextwechsel und vermeidbare kognitive Belastung
• Wachsender Widerstand gegen neue Softwarelösungen durch Überforderung
Datensilos:
• Isolierte Datenspeicherung in verschiedenen Systemen ohne automatisierten Austausch
• Redundante Datenhaltung führt zu Inkonsistenzen und Qualitätsproblemen
• Manuelle Datenübertragungen als Fehlerquelle und Zeitfresser
• Eingeschränkte Analysemöglichkeiten durch fragmentierte Datenbestände
Ausbleibendes Change Management:
• Fokus auf technische Integration bei gleichzeitiger Vernachlässigung der Anwender
• Unzureichende Schulung und Dokumentation für neue Systeme
• Fehlende Einbindung der Fachabteilungen in Integrationsentscheidungen
• Mangelnde Kommunikation über Mehrwert und Zielsetzung der Integration
Big Bang statt planbarer Progression:
• Versuch, alle Systeme gleichzeitig zu integrieren statt schrittweisen Vorgehens
• Fehlende Priorisierung nach Geschäftswert und technischer Machbarkeit
• Zu ambitionierte Zeitpläne ohne ausreichende Puffer für unvorhergesehene Probleme
• Vernachlässigung einer zukunftssicheren, angepassten & erweiterbaren Architektur
Fazit
Die Grenzen von Standardsoftware zu erkennen und zu überwinden ist ein entscheidender Schritt in der digitalen Reife eines Unternehmens. Der Weg zu individuellen Lösungen muss dabei nicht über teure Komplettentwicklungen oder risikoreiche Systemwechsel führen. Moderne Ansätze wie Citizen Development mit Low-/No-Code-Plattformen ermöglichen einen graduellen, bedarfsorientierten Übergang. Sie verbinden das Fachwissen der Anwender mit der Effizienz digitaler Werkzeuge – ohne die typischen Kommunikationshürden zwischen IT und Fachabteilungen.

Unabhängig vom gewählten Weg gilt: Der Erfolg liegt nicht in der perfekten technischen Lösung, sondern in der optimalen Unterstützung der Geschäftsprozesse. Achte auf eine konsistente Benutzererfahrung, vermeide Datensilos und investiere nachhaltig in Change Management.
Lass uns gemeinsam Deine Softwarelandschaft optimieren!
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